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Erst der Mut, dann die Liebe

Autorin: Andrea Sophia Löffler

 

Adelheid wartete in der Anderswelt am gewohnten Ausgangsort auf ihre Wölfin Cecilia. Nach ihrem herzlichen Begrüßungsritual teilte Adelheid der Wölfin den Grund ihres Besuches mit: „Cecilia, ich komme, weil ich wissen muss, wie man sich vor Angriffen in der irdischen Welt schützt. Zeige mir den Weg, ich folge dir.“

 

Sofort machte Cecilia eine Kehrtwendung und lief los. Die Reise ging durch dichtes Gestrüpp, vorbei an vermooste Steinmauern und mystischen Plätzen unserer Vorfahren.

 

Kurze Zeit später erreichten sie eine Anhöhe und Adelheid´s Blick richtete sich unmittelbar auf die mächtige Eiche, unter der eine zahnlose Alte mit wirrem Haar verweilte. Sie trug einen schlodrigen Mantel, bestückt mit Überresten von pelzigem Getier. Die knorrigen Hände dieses Weibes waren ganze Zeit damit beschäftigt, Steinchen oder Nüsse aneinander zu reiben und unverblümt zeigte sie gegenüber den beiden Ankömmlingen ihre ungeduldige und abschätzige Grundhaltung.

 

„Hast du dich verirrt, du kleines Ding? Scheinbar hast du nichts anderes zu tun, als hier herumzulaufen und mich zu stören.“

 

Adelheid antwortete eingeschüchtert, aber bestimmt: „Weise Alte, ich komme aus einem bestimmten Grund zu dir. Ich möchte wissen, warum ich in der irdischen Welt so häufig angegriffen werde, so wie es scheint, aus dem Nichts heraus. Kannst du mir den Grund dafür nennen?

 

Das möchtest du wissen, du ahnungsloses Wesen?“  Sie brach in hysterisches Gelächter aus. Als sie damit fertig war, sprach sie fast flüsternd: „ Komm näher, ja komm doch endlich. Wenn du das wirklich wissen willst, dann kriech in diese Höhle. Wir werden ja sehen, ob du da je wieder herauskommst, du fade Maid.“ Hahahahaha……

 

 

Adelheid´s Blick fiel auf ein kleines Loch in der nahegelegenen Felswand, verwachsen mit stacheligen Stauden und ein mulmiges Gefühl machte sich in ihrer Magengrube breit.

 

Sie wollte sich schon auf den Weg dorthin machen, als die Alte sie zurückpfiff. War in den Gesichtszügen der Hexe etwa eine winzige Regung von Mitgefühl?

 

Die Alte grub umständlich in ihrem Lederbeutel und fischte drei reife Mispeln heraus. „Hier, du Kröte, eine kleine Wegzehrung wirst du schon gebrauchen können.“

 

Mit einer kurzen Umarmung verabschiedete sich Adelheid von ihrem Leittier, denn dieses musste draußen bleiben und so machte sie sich daran, erst Schutt und Steine auf die Seite zu schaffen, damit ein Zugang zur Höhle überhaupt möglich wurde.

 

Es roch modrig und feucht. In der Dunkelheit waren die glitschigen Steine kaum auszunehmen. Ungelenk und vorsichtig ging sie ihres Weges, immer tiefer in diese unwirtliche Umgebung, bis sie einen größeren Höhlenraum erreichte.

 

Sie hatte sich bereits so gut an die Dunkelheit gewöhnt, dass sie feststellen konnte, von fetten Spinnen, Fledermäusen und anderem Getier umgeben zu sein. Aber sie fasste allen Mut zusammen und schritt, ungeachtet dieser Insekten, weiter und weiter.

 

Bis sie durch einen gar engen Tunnel kriechend in den nächsten Raum fiel. Wieder auf ihren Füßen angelangt, wurde ihr bewusst, dass sie sich in einer Schlangengrube wiederfand. Was sollte sie nun tun? Es schien unmöglich, hier ungeschoren durchzukommen. Sie folgte ihrer Intuition und holte eine Mispel aus ihrem Proviantbeutel, warf sie in die Mitte des verknäulten Biesterpacks und beobachtete ihr wildes Gerangel um diese Frucht. Für kurze Zeit waren die Schlangen von Adelheid abgelenkt und so nutzte sie dies, ungeschoren in den nächsten Raum zu gelangen.

 

Kaum hatte sie sich von diesem Ereignis erholt, blickte sie um sich. Die Höhle war hier ausladender, geräumiger als die erste. Vor ihr lag ein dunkles, tiefes Gewässer, dass ihre ganze Aufmerksamkeit einnahm. Und schon wurde Adelheid von der Tatsache eingeholt, dass sie sich wiederum an keinem kuscheligen Verweilort befand. Das Gewurl  an der Wasseroberfläche zeugte von gefährlichem Terrain der Riesenechsen. Und kein Weg führte an ihnen vorbei.

Da wurden die Krokodile auch schon aufmerksam auf ihr potentielles Opfer. Nun galt es rasch zu handeln. Sie opferte eine zweite Mispel und warf sie ins gierige Getummel. Ganz plötzlich verfärbte sich das Gewässer blitzblau und ermöglichte Adelheid eine gute Sicht bis zum Grund des unterirdischen Sees. Wiederum verlor sie keine Zeit, nahm einen tiefen Atemzug und tauchte tief hinab, während über ihr die Echsen um eine kleine Mispel stritten.

 

Am anderen Ufer angelangt, war auch jetzt kein Rasten angesagt. Sofort machte sich Adelheid dünn und schlüpfte durch einen Felsenspalt.

 

Allmählich machte sich in Adelheid große Erschöpfung breit. Zusammengekauert saß sie in einer Nische, hoch oben an einer feucht-kalten Anhöhe eines Felsens und erkannte erst jetzt ihre ausweglose Situation, in der sie sich befand.  

 

Sie hatte nur noch eine Mispel – das bedeutete, es gäbe wohl kein zurück mehr. Sie musste weitergehen. Nun dürfe sie nicht aufgeben, nicht schlapp machen oder schlechten Gedanken nachhängen. Es gelte, vorwärts zu gehen. Nichts auf dieser Welt, könne sie noch aufhalten. Sie wollte den Dingen auf den Grund gehen und dafür ist sie hierhergekommen, in diese „Gott-ferne“ Unterwelt.

 

Mühevoll kletterte sie nach unten und versuchte nicht abzurutschen. Dabei wurde sie immer deutlicher von Schwefel geschwängerter Luft belästigt. Ein Geruch, der ekeliger nicht mehr sein konnte.

Endlich am festen Boden angelangt, dauerte es nicht lange, bis ein lautes, alles durchdringendes Gebrüll die stinkende Höhle zum Erzittern brachte. Eine Riesenfratze mit scharfen Zähnen und funkelnden Augen tauchte hinter einer Felswand auf. Sie konnte ihren Augen kaum trauen. Stand sie tatsächlich vor einem Ungeheuer, deren ganze Größe sich kaum erfassen ließ? Ach, wie abstoßend die schmutzig-gelbliche Reptilienhaut auf Adelheid wirkte.

 

 

„Welcher todesmutige Tölpel betritt denn da meine ehrwürdigen Hallen? So sprich, du albernes Ding!“, kam es hitzig aus dem Drachenmaul gepoltert. Zitternd fasste Adelheid allen Mut, den sie noch aufbringen konnte und erwiderte: „Herr Drache, ich komme von weit her und heiße Adelheid!“

 

So, so. Dann zeige mir doch, Aaaaadeeeeelheid, ob du auch klug genug bist, dich hier weiter als eine Minute aufzuhalten. Antworte auf meine Frage: Warum ist die Erde rund?“

 

Adelheid antwortete ohne Nachzudenken: „Weil sie nicht eckig ist.“ Der Drache konnte ein  Schmunzeln nicht unterdrücken. „ Oh, vorlaut sind wir auch noch. Na gut, feine Dame. Wollen wir gnädig sein mit dir. Ich schenke dir ein Ohr. Warum bist du hier?

 

Ich möchte gerne wissen, warum ich in meiner Welt mit Menschen zu tun habe, die aggressiv reagieren, ohne ihnen einen Anlass dafür zu geben.“

 

Plötzlich begann der Drache drauf los zu brüllen:

 

„Dafür traust du dich in die Höhle des Drachens und machst soviel Wind?

 

Etwas leiser setzte er seinen Apell fort:

 

„Ein Mädchen, außen zart und schwach, aber nicht zu feige, in meine Unterwelt zu dringen? Verstehst du immer noch nicht?

 

„Nein, lieber Drache. Bitte erklär es mir.“

 

„Lieber Drache sagt sie zu mir, hahh. Bevor ich dich fresse, und ich kann es kaum erwarten, werde ich dir meine Antwort nicht vorenthalten. Lange nicht mehr, hatte ich so hohen Besuch. So werde ich mir ein wenig den Spaß mit dir vertreiben.

 

Du bist eine Trägerin des göttlichen Lichts und dieses Licht wird die Dunkelheit auf der Erde verschlingen. So bist auch du eine Verschlingerin des Bösen. Aber, und das muss dir klar sein, das Böse wird nicht kampflos die weltliche Bühne verlassen. Apropos „verschlingen“, ich habe großen Hunger! Und nun genug der Worte.“

 

„Aber lieber Drache, bevor du mich verschlingst, musst du wissen, dass ich eine Mispel bei mir trage. Sie ist die süßeste Frucht, die ich kenne und es scheint, als wäre sie dazu fähig, das Licht zu offenbaren. Ich schenke dir diese Apfelfrucht. Du hast lange genug in deiner Höhle dein Dasein fristen müssen. Aber wenn du mich immer noch fressen willst, so beiße ich in diese Frucht, und du wirst im Licht vergehen.“

 

„Na gut, so dumm scheinst du gar nicht zu sein. Ich werde ein Nachsehen mit dir haben.

 

Du sollst einen Blutstropfen von mir erhalten.“

 

Der Drache bohrte mit seiner Kralle in warzige Haut bis ein Tropfen Blut in eine Steinschale fiel. „Hier trink. Drachenblut macht dich unbesiegbar und unsichtbar für dunkle Kräfte.“

 

Adelheid nahm einen Schluck von der noch warmen Flüssigkeit und spürte unmittelbar ihre Wirkung. Das Gefühl von Tapferkeit wuchs in sekundenschnelle und sie hatte das Gefühl, nichts und niemand könne ihr mehr was anhaben.

 

Der Drache beobachtete sie neugierig, räusperte sich und sprach:

 

„Für mich bist du dennoch sichtbar. Drachenwesen sind nämlich Mittler zwischen den lichten und dunklen Kräften. Lang, lang ist´s her, da waren wir in deiner Welt, der Mittelwelt,  angesiedelt und in fast allen Gewässern der Erde anzutreffen.

 

Dann kam das dunkle Zeitalter und man war im Begriff die lichten Wesenheiten zu verdrängen. Als die Menschen allmählich ihr göttliches Bewusstsein  verloren, konnten wir  unserer Bestimmung nicht mehr folgen und mussten uns in die Unterwelt zurückziehen.

 

Du siehst, auch die einst sehr mächtigen Drachenwesen  waren diesen zerstörerischen Kräften gegenüber machtlos. Und so sind wir arbeitslos geworden.

 

So nun rück raus mit deiner Zauberfrucht! Die werde ich nun genüsslich verspeisen.“

 

Nachdem das Drachentier die Mispel genüßlich in seinem riesen Maul zerbissen hatte, veränderte  sich sein Gesichtsausdruck. Seine Aura begann zu leuchten und er wirkte plötzlich weniger furchteinflößend. Er reckte und streckte sich nach allen Seiten, so dass Adelheid fürchtete, von seinem mächtigen Schwanz erfasst zu werden.

 

Der Drache kümmerte sich wenig darum und sprach weiter:

 

„Diese Ruhephase hat uns als Drachengeschlecht nicht geschadet. Mit deiner Anwesenheit ist der Zeitenwandel nun endgültig eingeleitet und die überlebenden Drachen werden diesem Ruf folge leisten. Bald werden wir wieder in die Mittelwelt ziehen und uns für das Licht auf Erden stark machen.

 

Nachdem Adelheit sich vom Drachen verabschiedet hat, kehrte sie, für alle dunklen Wesen unsichtbar, fast mühelos zurück zu Cecilia, ihrem geliebten Wolf.

 

Sie schritt frohen Muts der Alten entgegen und reichte ihr einen Kranz aus Gundermann, den sie vorsichtshalber aus der Mittelwelt mitgenommen hatte.

 

Vielen Dank für die rechte Weisung, alte Frau. Das Gespräch mit dem Drachen war gut.

 

 

Und während Adelheit gemeinsam mit Cecilia den Weg zurück nahm, erklang noch einmal die Stimme des Drachens:

 

 

Frohe Maid, vergiss nicht:

 

Erst der Mut, dann folgt die Liebe

 

und die Liebe ist die stärkste Kraft.“